Presseartikel

Fleischer stellt für „Bio“ sein Berufsleben auf den Kopf

14.08.2020

 

Fleischer stellt für „Bio“ sein Berufsleben auf den Kopf

In der Zerlegeabteilung der Fleischerei „Cuxland pur“ in Hemmoor verarbeitet Olegs Pantelejevs ausschließlich Bio-Schweine mit Ringelschwänzen.

 

von HEIKE LEUSCHNER am 14. August 2020

Erwin Otto hält es mit Konfuzius. „Der Weg ist das Ziel“, zitiert der Fleischer den chinesischen Philosophen beim Rundgang durch seinen Betrieb „Cuxland pur“. Ottos Weg begann mit dem Pferdehobby. Es folgte eine kleine Galloway-Zucht. Ein paar Jahre später besaßen er und seine Frau Elke 120 Rinder. 2004 eröffneten sie in Hemmoor ihre Bio-Fleischerei. Heute zählt der Betrieb 42 Angestellte. Fleischskandale, ist Otto überzeugt, haben den Grundstein für die Firma gelegt.

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2002: Das verbotene Unkrautvernichtungsmittel Nitrofen wird in Hähnchen- und Putenfleisch nachgewiesen; 2003: 2000 Tonnen dioxinverseuchtes Futtermittel werden in Thüringen verfüttert. 2004: Eine Firma hat Fleischwaren mit längst abgelaufenem Verfallsdatum umetikettiert und verkauft. 2005: Tonnenweise vergammeltes Rind- und Putenfleisch wird sichergestellt. Der 54-Jährige kennt die „Ekelfleisch“-Schlagzeilen dieser Republik. Er glaubt, dass es „Cuxland pur“ in seiner heutigen Form ohne die Fleischskandale der Nullerjahre nicht gäbe.

In seinem früheren Leben war Otto Mitarbeiter bei Edeka und Marktkauf. „Ein Vertreter der Großform des Handels“, wie er selbst sagt. Anfang der 90er Jahre erklomm der Südniedersachse bei der Handelsgruppe Edeka die Karriereleiter.

 

Es gibt einen Punkt, an dem es nicht mehr egal ist, wie man sein Geld verdient.

Erwin Otto

 

Berufsbedingt wurde das Paar in Hechthausen sesshaft, widmete sich in der Freizeit der Pferdezucht, kaufte 80 Hektar Land und ihre ersten drei Galloway-Rinder. Das Fleisch der robusten Rasse boten sie zunächst Freunden und Bekannten an. Diese wiederum hätten es mit ihren Bekannten geteilt. „Es war wie ein Schneeballsystem“, sagt Elke Otto. „Die Nachfrage wurde größer, aber das Angebot dafür musste erst noch her.“ In dieser Zeit stellte Erwin Otto fest, dass sein alter Berufsweg nicht mehr zu seiner Lebenseinstellung passte. „Es gibt einen Punkt, an dem es nicht mehr egal ist, wie man sein Geld verdient.“

Viele Zweifler

Otto und seine Frau, eine gelernte pharmazeutisch-technische Assistentin, entschlossen sich, ihre Hobby-Rinderzucht professionell zu betreiben. Das habe ihnen viel Gegenwind eingebracht. „Man hat uns damals für Spinner gehalten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können“, erinnert sich Otto. Doch der Südniedersachse und die Paderbornerin ließen sich nicht beirren. 1996 entwickelten sie die Marke „Cuxland pur“; 2001 starteten sie mit dem Verkauf ihres Fleisches auf dem Stader Wochenmarkt. 2004 übernahmen sie eine leerstehende Fleischerei an der Durchgangsstraße B73 mitten in Hemmoor.

Otto läuft durch die verwinkelten Räume seines Betriebs. Abgesehen von der eigenen Schlachterei gibt es hier auf 250 Quadratmetern alles, was eine Fleischerei ausmacht: eine Abteilung, in der das Fleisch zerlegt wird, eine Wurstmacherei, mehrere Kühllager, eine Küche, in der eine Köchin Ragouts, Currys und Suppen kocht und für die Kunden in Weckgläsern haltbar macht. Und den Laden, in dem es außer Fleisch und Wurst auch Obst, Gemüse, Molkereiprodukte, Backwaren in Bioqualität gibt.

 

 

Betrieb wächst

Der Betrieb ist Stück für Stück gewachsen. In Kürze soll ein weiterer Anbau folgen. „Hätte ich am Anfang schon gewusst, wie sich das mal entwickelt“, sagt der Firmenchef, „hätte ich gleich auf der grünen Wiese gebaut.“ Den Gedanken, mit „Cuxland pur“ in ein Gewerbegebiet in Zeven umzuziehen, habe er dennoch verworfen. „Wir leben hier auch von den Vorbeifahrern“, sagt er mit Blick auf die B73, die vor der Ladentür vorbeiführt.“

Von ihrer Rinderherde haben sich die Ottos 2007 getrennt: „Schweren Herzens. Aber man kann nicht zwei Herren gleichzeitig dienen – den Tieren und den Kunden.“ Mittlerweile beziehe die Schlachterei ihr Fleisch von 30 bis 40 Betrieben, vorwiegend aus dem Elbe-Weser-Dreieck. Sowohl Lieferanten als auch die Fleischerei arbeiten nach dem Standard der EU-Bio-Verordnung.

Ottos Anspruch ist hoch: „Wir wollen gesunde Lebensmittel möglichst ohne Zusatzstoffe herstellen. Bei uns gilt nicht, was möglich, sondern was nötig ist, um zu produzieren.“ Dafür lässt sich Otto zusätzlich zu den allgemeinen Kontrollen des Gewerbeaufsichtsamtes dreimal im Jahr zusätzlich überprüfen – einmal mit, zweimal ohne Anmeldung. Seine Idee, dem Namen „Cuxland pur“ folgend, eine regionale Marke aufzubauen, habe er verwerfen müssen: „Finden Sie im Landkreis Cuxhaven mal einen Bio-Schweinebetrieb.“ Aber auch Rindvieh in Bioqualität gebe es im Cuxland nicht genug.

 

 

Stolz auf den Schinken

700 bis 1000 Schweine werden in der Biofleischerein im Jahr verarbeitet. Dazu kommen 150 bis 200 Rinder, gut 400 Lämmer, je 500 Enten und Gänse, 10.000 Hähnchen sowie 2000 bis 3000 Puten. Geschlachtet werden die Tiere in der Familienschlachterei Fülscher in Schleswig-Holstein. „Das dürften wir mitten im Ort gar nicht selbst“, erklärt Otto. Alle weiteren Verarbeitungsschritte erfolgen in der Fleischerei hinter der auffälligen Ladenfassade an der Hauptstraße 47 in Hemmoor.

Zwölf Fleischer arbeiten bei „Cuxland pur“ rund 100 Wurstsorten und bis zu 150 Fleischzuschnitte. Heiko Müller bringt gerade ein paar mächtige Schweineschinken in die Kühlkammer. Er ist der Pökelfachmann im Betrieb. Acht Wochen haben die Schenkel im Salz gelegen, sechs davon hat Müller sie jeden Tag neu gesalzen und geschichtet. Die Schinkenproduktion, das sieht man dem Fleischer an, ist sein ganzer Stolz.

20 Wochenmärkte

Die meisten Angestellten sind im Verkauf tätig. Neben dem Ladengeschäft in Hemmoor gibt es 20 Wochenmarkt-Stationen im Elbe-Weser-Raum, die wöchentlich angesteuert werden. Auch der Markt in Geestemünde ist mit dabei. Nach Stade fährt der Chef selbst. Der persönliche Kontakt zu den Kunden ist ihm wichtig. Auf 3500 bis 4000 Kundenkontakte, schätzt Otto, kommt der Betrieb pro Woche. Dazu zählen auch die Veganerin, die Fleisch nur für Mann und Kind einkauft, sowie fünf Schulen in Bremen. Und die Onlinebesteller, die sich die Ware bis nach Helgoland und sogar nach Belgien schicken lassen.

Und der Preis? 100 Gramm gekochter Rinderschinken kosten bei „Cuxland pur“ 4,31 Euro, 180 Gramm Rumpsteak vom Rind 7,91 Euro, 352 Gramm Nackensteak schlagen mit 6,87 Euro zu Buche. „Wir sind zwei- bis dreimal so teuer wie ein konventioneller Schlachter“, sagt Otto. Aber eigentlich könne sich fast jeder in Deutschland diese Qualität leisten, ist er überzeugt. Es komme auf die Menge an.

Auch wenn für die Ottos „Kunden und Mitarbeiter das höchste Gut sind“ – das größte Kompliment für ihre Arbeit haben sie von ihren beiden Töchtern erhalten. Nachdem bereits die Ältere im elterlichen Betrieb Fleischerin gelernt hat, macht es ihr nun Anne, die Jüngere, nach. Dabei habe sie mit ihrem guten Abi-Zeugnis eigentlich andere Pläne verfolgt, erzählen ihre Eltern. „Kommt noch“, sagt Anne Otto. Dass sie ihre Eltern zunächst mit der Ansage, Fleischerin werden zu wollen, überrascht hat, habe vor allem einen Grund: „Ich bin stolz darauf, was meine Eltern hier aufgebaut haben.“

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